Stromliniendesign


Schnelltriebwagen als Stilikonen
In den 1920er Jahren begannen die Eisenbahngesellschaften den aufkommenden Wettbewerb auf der Straße und in der Luft zu spüren. Die Antwort auf diese Herausforderung lautete: Mehr Komfort bei höherer Geschwindigkeit. So wurde der Reiseverkehr beschleunigt und moderne Fahrzeuge beschafft. Als Krönung dieser Entwicklung erschienen in den 1930er Jahren die motorgetriebenen Schnelltriebwagen. Diese Fahrzeuge wurden von den Bahngesellschaften als absolute Prestigeobjekte vermarktet und waren entsprechend auffällig gestaltet. Ihre Erscheinung wurde von aerodynamischen Stromlinienformen bestimmt, die durch farbintensive Designs betont wurden. Schnelltriebzüge galten bei Ihrem Erscheinen als Inbegriff von Modernität und Geschwindigkeit, was sie zu grafischen Ikonen ihrer Zeit werden ließ.

Der sensationelle Erfolg der Schnelltriebwagen beruhte auf verschiedenen Faktoren: So erlaubten die Fortschritte beim Bau von Motoren und leichten Strukturen neue Konstruktionen mit zuvor unerreichten Leistungen. Die neuartigen, gestalterischen Aspekte hatten ihren Ursprung dagegen in zwei wegweisenden Ereignisse: Zum einen gründete Walter Gropius 1919 das "Staatliche Bauhaus" in Weimar als Zentrum für Architektur und angewandte Künste, das sich dem Stil der "Neuen Sachlichkeit" verschrieb. Zum anderen fand 1925 in Paris die "Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes" als Weltausstellung des Kunstgewerbes und des Industriedesigns statt. Hier kondensierten avantgardistische Strömungen zu einem neuen Stil, der als "Art déco" eine neue Moderne öffnete.


Fliegende Züge in Europa
Als Vorläufer der Schnelltriebwagen läßt sich der "Schienenzeppelin" des deutschen Konstrukteurs Franz Kruckenberg (1882-1965) von 1931 sehen. Dieser Versuchsträger wurde von einem 12-Zylinder BMW-Flugzeugmotor angetrieben, der seine Leistung von 600 PS auf eine Luftschraube am Heck des Fahrzeuges entfaltete. Der Triebwagen stellte mit einer Geschwindigkeit von 230,2 km/h den Weltrekord für Schienenfahrzeuge auf, war aber für den regulären Betrieb ungeeignet.

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Der erste einsatzfähige Schnelltriebwagen nach dem Stromlinienkonzept war 1932 der "Fliegende Hamburger" der "Deutschen Reichsbahn Gesellschaft" (DRG). Andere europäische Bahnverwaltungen folgten mit Schnelltriebwagen, darunter 1933 die SNCF mit den "Bugatti" Triebwagen, 1935 die DSB mit dem "Lyntog" und 1945/46 die NSB mit dem "Type 88". Außerdem gab es vielfältige Stromlinienverkleidungen an Schnellzugloks und -wagen. Die Gestaltung aller dieser Fahrzeuge orientierte sich an den Prinzipien der "Neuen Sachlichkeit".

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Neben den Schelltriebwagen wurden auch stromlinienverkleidete Züge mit Dampftraktion eingesetzt. Als herausragende Pionierleistungen sind hier die Doppelstock-Wendezüge der "Lübeck-Büchener Eisenbahn" (LBE) für den Städteschnellverkehr und der "Henschel-Wegmann Zug" der DRG für die Verbindung Berlin-Dresden zu nennen sowie die DRG Schnellfahrdampfloks der Bauteihen 05 und 06.

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Viele der anderen europäischen Bahnverwalteungen setzten ebenfalls auf Stromlinienverkleidungen. Tatsächlich handelte es sich dabei in erster Linie um spektakuläre Gestaltungselemente. Aerodynamisch erreichten die neuen Verkleidungen erst bei Geschwindigkeiten von deutlich über 100 km/h einen meßbaren Effekt.

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Streamline Era in den USA
Eine besondere Ausprägung entfaltete die Formensprache der Stromlinien in den USA, wo in den 1930er Jahren Raymond Loewy (1893-1986), Otto Kuhler (1894-1977) und Henry Dreyfuss (1904-1972) als die führenden Designer ihrer Zeit wirkten. Die zunächst rein funktionalen Formen wurden zunehmend mit dramatischen Elementen überschrieben, so daß sich ein Wettlauf um das spektakulärste Erscheinungsbild entspann. Den Startschuß dieser Entwicklung bildeten 1934 die legendären Triebzüge "City of Salina" (Union Pacific Railroad) und "Burlington Zephyr" (Chicago, Burlington & Quincy Railroad). In den folgenden Jahren wurden dann nahezu alle neuen Triebfahrzeuge in "Streamline" gestaltet, gleich ob sie mit Dampf, Diesel oder elektrisch angetrieben wurden.

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Die neuen Designprinzipien wurden in den USA recht schnell von ihren technischen Ursprüngen entkoppelt und hemmungslos über Produkte aller Art gestülpt. "Streamline" wurde der Stil einer ganzen Epoche der industriellen Moderne und prägte die Erscheinung von Fahrzeugen, inspirierte architektonische Formen und bestimmte die modische Gestaltung von Gegenständen des Alltags. Ab den 1950er Jahren wurde dann das Jet-Zeitalter zur bestimmenden Strömung und zelebrierte in phantastischer Formensprache die ungeahnte Kraft der Strahltriebwerke.

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Quellen:
Kurz, Heinz R. (1994): Fliegende Züge. Freiburg: EK-Verlag
Reed, Robert Carroll (1975): The Streamline Era. San Marino, California: Golden West Books



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