Straßenrollerverkehr DRG
Die DRG initiierte den Straßenrollerbetrieb für regelmäßige Lieferungen zu kundenspezifisch
vereinbarten Konditionen. Dabei waren einige Voraussetzungen zu erfüllen, bevor die DRG einen
neuen Übergabeort für Straßenroller einrichtete. Immerhin mußte ja eine Überladerampe mit
ausreichender Manövrierfläche gebaut und Fahrzeugmaterial mit geschultem Personal bereitgestellt
werden. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit des Straßenrollergespanns lag der Einsatzradius
bei maximal 3 km, meist war die Strecke zum Kunden aber kürzer. Wurde der Umschlag der Ladung
beim Kunden innerhalb von 45 Minuten erledigt, konnte der Waggon gleich wieder abgefahren
werden. Anderenfalls verblieb der Waggon auf werkseigenen Gleisen oder einem mobilen Absetzgleis
beim Empfänger. Auf diese Weise konnte eine Mannschaft in einer Schicht durchschnittlich
6 Zustellungen abwickeln. Ein Standort war wirtschaftlich, wenn mindestens 24 Waggons pro
Woche expediert wurden, wobei sich diese auch aus verschiedenen Lieferverträgen addieren
konnte. Die Abrechnung der Leistung erfolgte kilometerweise unter Berücksichtigung der
Faktoren Wegstrecke, Tonnage und Zeitaufwand, der Kunde hatte die Kosten gegen die Vorteile
des Straßenrollertransports abzuwägen: So entfiel der Straßentransport zum nächsten
Güterbahnhof und das zeitaufwendige Umladen, wobei die Kapazität eines zweiachsigen
Güterwagens 3-6 Fahrten mit Lkw oder Fuhrwerken erforderte. Im Falle von Gefahrstoffen wie
Kraftstoff oder Säure minimierte die direkte Lieferung darüber hinaus die Unfallgefahr erheblich.
Als erster Standort für den Waggontransport per Straßenroller wurde 1933 die niederrheinische
Stadt Viersen ausgewählt, wo sich ausreichend Gewerbe ohne eigenen Gleisanschluß in der näheren
Umgebung des Güterbahnhofs fanden. Im Oktober 1933 wurde hier ein einjähriger Versuchsbetrieb
eingerichtet,, für den die "Kaisers Kaffee-Geschäft GmbH" als Erstkunde gewonnen werden
konnte. Der erste reguläre Kunde wurde 1934 allerdings die Werkzeugmaschinenfabrik "Billeter & Klunz AG"
aus Aschersleben, deren Hobelmaschinen für den Transport per Fuhrwerk oder Lkw zu schwer waren. Der
zuständige Stadtbaurat gab alle befestigten Straßen und Plätze frei und so konnte in Aschersleben
der erste Straßenroller Regelverkehr aufgebaut werden. Weitere Interessenten folgten und bereits
innerhalb eines Jahres 12 weitere Unternehmen bedient. Die Transportkosten wurden für jeden
Abnehmer unter Berücksichtigung der Faktoren Wegstrecke, Tonnage und Zeitaufwand individuell
berechnet. Man kalkulierte zunächst mit 30 Waggons wöchentlich, erreichte aber schon bald
Spitzenwerte von bis zu 90 und führte im ersten Jahr insgesamt 4.284 Transporte durch. Der
Großteil der Fracht bestand aus Kohle und Koks, letztendlich eignete sich das System aber für
alles, was sich mit zweiachsigen Güterwagen transportieren ließ. Von Kundenseite wurde die
Zeitersparnis geschätzt, da das bisher notwendige Umladen der Fracht auf Fuhrwerke entfiel
und auch die freie Wahl des Entladeortes auf dem Werksgelände wurde gelobt. Für die DRG ergab
sich bei allem Aufwand der Vorzug, die gesamte Transportkette in der eigenen Hand zu halten.
Darüber hinaus gab es weder aus der Öffentlichkeit, noch von Behördenseite Beschwerden über
beschädigte Straßenbeläge oder störende Vibrationen. Auf Grund dieses Erfolges wurden weitere
Standorte mit entsprechenden Übersetzanlagen eingerichtet und bis April 1938 hatte man rund
163.000 Waggons an 140 Kunden zugestellt. Weitere Standorte kamen hinzu und ab 1936 wurden
eigenständige Betriebszentren in Aschersleben, Berlin, Hannover und Viersen gebildet.
Box: FS-Straßenroller
Unabhängig von den Straßenrollern System Culemeyer entwickelten auch die Italienischen Staatsbahnen
(FS) ähnliche Fahrzeuge, die bei der "Societa Carminati e Toselli" in Mailand gebaut
wurden. Die Räder dieser Straßenroller wurden bei Kurvenfahrt kreisbogenabhängig eingeschlagen
und radial zum Bogenmittelpunkt eingestellt. Die Fahrzeuge waren allerdings ungefedert und eigneten
sich nur für Waggons mit relativ kurzem Achsstand. Das System wurde 1935 vorgestellt und 1938 mit
21 Fahrzeuge in 5 Städten betrieben.
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Schwerlastverkehr DRG
Das Konzept Straßenroller ermöglichte der DRG neben dem Transport von Güterwagen jenseits der
Gleise zusätzlich den Einstieg in einen leistungsfähigen Schwerlastverkehr. So ließen Objekte
befördern, deren Gewicht und/oder Abmessungen die Grenzen des regulären Schienen- und Straßenverkehrs
übertrafen. Die zahlreichen Räder der Straßenroller schützten den Fahrweg durch die großflächige
Verteilung des Gewichts und ermöglichten mit ihrer Lenkfähigkeit ein präzises Manövrieren. Bei
übergroßen Objekten kamen mehrere Straßenroller hinter- und nebeneinander zum Einsatz, die
sich unter der Fracht bzw. einem Tragrahmen wie Drehgestelle bewegten. Das Lenken des hinteren
Straßenrollers über nahm ein mitfahrender Transporthelfer auf einem provosorischen Steuerstand
oder ein folgendes Fahrzeug mittels Deichsel. Bei Bedarf wurde das Gespann von mehreren
Schleppfahrzeugen bewegt. Die Sondertransporte wurden von der "Schwerlastgruppe"
der DRG im Reichsbahn-Zentralamt (RZA) in Berlin organisiert, befördert wurden u.a. Maschinenteile,
Transformatoren, Kesselanlagen, Brückenträger und sogar Binnenschiffe. Zu den spektakulärsten
mehrteiligen Transporten zählten sicherlich die Überführungen von 15 Flusstankschiffen 1940
sowie von 6 U-Booten für die 30. U-Flotille 1942. Diese Transporte erfolgten vom Elbufer in
Dresden über rund 425 km Autobahn bis zur Donau in Ingolstadt. Während des 2. Weltkriegs nutzte
die Wehrmacht Straßenroller zum Verlegen von schweren Waffensystemen wie Panzern und Geschützen etc.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges fanden sich aus dem Bestand der DRG noch 132 betriebsfähige Straßenroller,
die Fahrzeuge der Wehrmacht waren dagegen weitgehend zerstört. Das Konzept der Straßenroller wurde nicht
nur von den DRG-Nachfolgeorganisationen DB und DR wieder aufgenommen, sondern wurde auch von den Bahnen
anderer Staaten adaptiert: DSB, FS, NS, ÖBB, SBB, SJ, SNCF und VR. Verwendet wurden Nachbauten der
bewährten Culemeyer-Konstruktionen sowie weiterentwickelte Formen verschiedener Hersteller.
Johann Culemeyer selbst zog 1945 nach Göttingen und setzte bis zu seinem Ableben 1951 die Arbeit an
den Straßenrollern fort mit der Waggonfabrik Uerdingen.
Straßenroller der DB
Die DB übernahm bei ihrer Gründung 1949 rund 120 Straßenroller überwiegend in der zweiteiligen Bauform
R40. Die Fahrzeuge wurden mehrheitlich durch den Einbau einer festen Brücke zu einteiligen Wagen konvertiert
und als Typ R40H2, R40H3 bzw. R40H4 geführt. Zusätzlich ließ die DB bei der "Siegener Eisenbahnbedarf A.G."
(SEAG) und der "Waggon- und Maschinenbau GmbH Donauwörth" (WMD) eine neue Generation einteliger
Straßenroller entwickeln. Die neuen Fahrzeuge waren luftbereift und wurden als Typ LR40 bezeichnet. Bei
den Zugmaschinen übernahm die DB ca. 90 Altfahrzeuge und beschaffte neue Muster der Hersteller Kaelble,
MAN, Faun und Titan. Bereits 1953 wurden 112.000 Waggons auf der Straße zugestellt und 1964 gab es in der
Bundesrepublik Deutschland rund 123 Orte mit Straßenrolleranschluß. Der Straßentransport von Waggons
wurde bei der DB 1987 eingestellt.
Schwertransporte der DB
Die DB unterhielt ab 1954 in Frankfurt a.M. eine "Überbezirkliche Straßenschwerlastgruppe", deren
Fuhrpark in Darmstadt stationiert war. Die Abteilung war in den 1950er und -60er Jahren maßgeblich an der
Weiterentwicklung des Umsetzverfahrens Schiene/Straße mit Tragschnabelwagen beteiligt. Hierfür wurden neue
Schwerlastfahrzeuge und Flachbett-Tiefladesattelzüge mit Luftbereifung und hydraulischer Federung entworfen,
die 1972 in dem selbstfahrenden Straßenschwerlastfahrzeugen Scheuerle Typ LS 250 "Heuler"
gipfelten. Die DB-Schwerlastgruppe wurde 2004 aufgelöst und ihre Leistungen von privatwirtschaftlichen
Speditionen wie der "DB Schenker" übernommen. Einige Fahrzeuge der Schwerlastgruppe blieben
in der Sammlung des Museums "Bahnwelt Darmstadt-Kranichstein" erhalten.
Straßenroller der DR
Die DR übernahm aus Beständen der DRG eine größere Anzahl von Straßenrollern, die im nun verstaatlichten
Herstellerwerk "VEB Waggonbau Gotha" gewartet und teilweise modifiziert wurden. Einige Straßenroller
wurden in überarbeiteter Form bis 1964 nachgebaut, eine Neuentwicklung erfolgte nicht. Als Zugkraft
wurden anfänglich Schleppfahrzeuge aus dem DRG-Bestand verwendet, ab 1958 wurden tschecheslowakische
Tatra-Zugmaschinen Typ 141 und ab 1967 auch der Frontlenker Typ 813 6x6 eingesetzt. Insgesamt gab es
1964 in der DDR etwa 120 Städte mit Straßenrollerverkehr, die Einstellung des Angebots erfolgte um 1990.
Einführung
Teil 1: Culemeyer-Patent
Teil 2: Straßenroller der DRG, DB, DR
Teil 3: DSB-"Vognbjørn"