Die 1843 gegründeten "Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen" (K.W.St.E.) erkannten
die Notwendigkeit eigener Werkstätten zur Herstellung und Wartung von Loks und Waggons. Da man nicht über
die notwendige Fachkompetenz verfügte, beschloß man diese Aufgaben einem Privatunternehmen zu übertragen.
Das überzeugendste Angebot hierzu kam von Emil Kessler (*1813, †1867) aus Karlsruhe,
der seine "Maschinenfabrik Emil Kessler" (ab 1852: "Maschinenbau-Gesellschaft Karlsruhe")
betrieb und seit 1841 auch Lokomotiven fertigte. Standort den neuen Unternehmens wurde Esslingen, da
die Stadt vorausschauend ein geeignetes Gelände in Form einer Schenkung zur Verfügung gestellt
hatte. 1846 wurde hier die "Maschinenfabrik Esslingen" als Aktiengesellschaft unter der
Leitung Emil Kesslers gegründet, die bis zu seinen Ableben 1867 als "Maschinenfabrik Esslingen Emil Kessler"
fimierte. Die erste Annonce der ME in der "Eisenbahnzeitung" umriß das Lieferprogramm und zeugte
vom gesunden Selbstbewußtsein des Chefs sowie des jungen Unternehmens:
Maschinenfabrik Eßlingen.
Das unterzeichnete Etablissement macht hiermit die geziemende Anzeige, daß die in hiesiger Stadt erbaute Maschinen-
und Wagenfabrik gänzlich vollendet und seit einigen Wochen mit circa 450 Mitarbeitern in vollem Betrieb ist.
Gegenstände der Anfertigung sind: Lokomotive nebst Tendern, Eisenbahnwagen zum Transport von Personen und Gütern, Drehscheiben,
Ausweichungen, Krahnen zu Eisenbahnen; ferner: Dampfmaschinen, Dampfkessel, Wasserwerke, Turbinen, Transmissionen
und Triebwerke, Gebläse, Walzwerke. Geneigten Aufträgen, wozu wir uns bestens empfehlen, wird stets alle Aufmerksamkeit
und Sorgfalt gewidmet werden.
Eßlingen, den 31. März 1847.
Maschinenfabrik Eßlingen
Der Direktor: Emil Kessler.
Die "Maschinenfabrik Esslingen" (ME) nahm 1846 den Betrieb mit rund 500 Mitarbeitern auf und lieferte
bereits im Folgejahr die Lok "ESSLINGEN" sowie erste Waggons ab.
Schon 1857 zählte die Belegschaft rund 1.000 und erreichte 1921/22 den Höchststand von über 6.000
Beschäftigten als Württembergs größtem Industriebetrieb. Das Kerngeschäft der ME war der Lokomotivbau,
wobei man ständig bestrebt war, die Technik weiter zu entwickeln und u.a. bei der Entwicklung von
Großdieselloks Pionierarbeit leistete. Hinzu kam ein umfangreicher Waggonbau inkl. Triebwagen,
Straßenbahnen und Standseilbahnen. 1851-59 versuchte man sich in Ulm und Friedrichshafen auch mit
dem Bau von Binnenschiffen, beendete diese Aktivitäten aber nach der Fertigung von insgesamt einigen
Dutzend Donaubooten und Dampfschiffen. Mit der Übernahme verschiedener Mitbewerber erwarb die ME
weitere Standorte und zusätzliche Geschäftsfelder wie den Maschinen- und Anlagenbau, den Stahlhochbau
mit Brücken und Hallenkonstruktionen sowie der Eisenguß. 1884 erfolgte die Gründung der "Elektrotechnischen
Abteilung" (ETA) der ME in Cannstadt, die 1928 an AEG verkauft wurde. Schließlich reichte der
Stammsitz in Esslingen nicht mehr aus und so wurde 1908 ein neues Werk im benachbarten Mettingen
errichtet, in dem ab 1913 die Lokomotivproduktion vollständig zusammengeführt wurde. Ab den 1920er
Jahren wurden auch Grubenloks sowie elektrisch angetriebene Nutz- und Flurförderfahrzeuge in das Produktportfolio
aufgenommen. Die ME setzte nicht nur auf ihren Status als Hauptlieferant der K.W.St.B., sondern entwickelte
von Anfang an das Exportgeschäft als wesentliche Umsatzquelle und war damit Vorreiter unter
den deutschen Lokomotivherstellern. Auf Grund enger Geschäftsverbindungen nach Italien gründete
die ME eine Zweigniederlassung in Saronno als "Costruzioni Meccaniche di Saronno"
(auch: "Officine Meccaniche di Saronno"), die 1889 die Lokproduktion aufnahm und
rund 800 Mitarbeiter beschäftigte. Bis 1914 wurden hier 511 lokomotivtechnische Lieferungen ausgeführt,
die teilweise ME-Werknummern erhielten. Im Zuge des 1. Weltkrieges mußte das Tochterunternehmen 1916
verkauft werden und firmierte danach zunächst als "S.A. Ing. Nicola Romeo & Co.", ab 1926
dann als "Costruzioni Elektro Meccaniche di Saronno SA" (CEMSA), die auch wieder Lokomotiven baute.
Nach dem Zusammenschluß der deutschen Bahnen zur "Deutschen Reichsbahn Gesellschaft" (DRG)
spielte die ME auf dem heimischen Markt nur eine nachgeordnete Rolle, da ihr bei der DRG-Beschaffungsquote
nur 1,41 % (später 1,95 %) zugeteilt wurde. 1920 übernahm die "Gutehoffnungshütte, Aktienverein
für Bergbau und Hüttenbetrieb" (GHH) die Aktienmajorität der ME. Während des 2. Weltkrieges wurde
auch die ME in die Rüstungsproduktion eingebunden und beschäftigte zeitweilig mehr als 2.300
Zwangsarbeiter sowie 373 Kriegsgefangene. In den ersten Nachkriegsjahren reparierte die ME Schadlokomotiven,
ab 1950 lieferte man wieder Loks und Waggons sowohl in traditioneller Dampftechnik als auch ein
modernes Dieselprogramm. An den Neubeschaffungen der DB konnte die ME nur unwesentlich partizipieren,
umso wichtiger war wieder das internationale Geschäft. Nach beachtlichen Exporterfolgen in den 1950er
Jahren, führte der weltweit rückläufige Markt und wachsender Konkurrenzdruck zum Einbruch des
Lokomotivmarktes. Zugleich sanken die Erträge, da wesentliche Komponenten moderner Diesel- und
E-Loks wie Motoren, Strömungswandler und elektrische Ausrüstungen nicht selbst produziert werden
konnten. Lag der eigene Fertigungsanteil für Dampfloks bei 95 %, so erreichte dieser Wert bei
E-Loks nur noch zwischen 30 und 50 %. Damit war das Ende des einstigen Traditionshauses ME
unvermeidbar und so übernahm die "Daimler-Benz AG" 1965 71 % der Kapitalanteile und
legte im Folgejahr die Produktion nach nach Lieferung von rund 5.600 Lokomotiven und über 22.000
Waggons still. Die ME blieb formal als Grundstücks- und Vermietungsgesellschaft der ME Liegenschaften
erhalten, die langfristig an die Daimler-Benz AG vermietet wurden. 2003 übernahm die Daimler-Chrysler AG
die ME zu 100 % und beendete deren rechtliche Selbständigkeit 2012. Auf dem Gelände des Daimler-Benz Werkes
in Mettingen blieb das vormalige ME-Verwaltungsgebäude sowie ein Gedenkstein zu Ehren Emil Kesslers erhalten.
Dem Andenken und der historischen Aufarbeitung des Erbes der ME widmet sich seit 2003 der
"Förderverein zur Erhaltung von Lokomotiven der Maschinenfabrik Esslingen e.V." (www.fvme.de),
die zeitweilig die Zeitschrift "Dampfdruck" herausgab und engagiert an der Restaurierung der letzten
Württembergischen T 3 (ME 4092 / 1923) arbeitet. Das Archiv der ME wurde 2020 vom
"Wirtschaftsarchiv Baden Württemberg" übernommen.
Übersicht
Teil 1: Unternehmensgeschichte der ME
Teil 2: ME-Produkte
Teil 3: ME-Loks in Dänemark