1 Unternehmensgeschichte

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1.3 Borsig Nachfolgebetriebe

Borsig Lokomotiv-Werke G.m.b.H. (BLW) / LEW 1930-1954:

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Der aus dem Unternehmen Borsig ausgegliederte Lokomotivbau wurde 1930 durch die "Allgemeine Elekticitäts-Gesellschaft" (AEG) übernommen zusammen mit deren Lokomotivbau als "Borsig Lokomotiv-Werke G.m.b.H." (BLW) weiter geführt. Die Ansiedlung erfolgte im AEG-Werk Hennigsdorf bei Berlin, wo die AEG seit 1913 ihre Elektroloks baute. Die BLW erhielt alle Zeichnungen und sonstigen Unterlagen ihrer Vorgänger und führte die Borsig-Werksnummern bei den Dampfloks nahtlos weiter. Die erste in Hennigsdorf produzierte BLW-Dampflok verließ Ende 1931 die Werkshallen, einzelne Aufträge wurden bis 1935 im alten Werk in Tegel fertiggestellt. Während des 2. Weltkrieges baute BLW in großen Stückzahlen fast ausschließlich Lokomotiven der Baureihen DRG 44 / 44 ÜK und 50 / 50 ÜK / 52. Anfang 1944 mußte die Produktion in Folge alliierter Bombenangriffe eingestellt werden und zum Ende des 2. Weltkrieges waren die Anlagen zu 80 % zerstört. Auf Befehl der sowjetischen Militäradministration wurden BLW demontiert, enteignet und 1947 in Volkseigentum überführt. Der Betrieb wurde noch im selben Jahr als "VEM Vereinigung Volkseigener Betriebe des Elektro-Maschinenbaues-Lokomotivbau Elektrotechnische Werke Hennigsdorf (Osthavelland)" neu gegründet und 1951 in "VEB Lokomotivbau-Elektrotechnische Werke 'Hans Beimler'" (LEW) umbenannt. LEW nahm den Lokomotivbau wieder auf und schloß bei den Dampfloks an die Werksnummern der BLW an. Hierzu zählten auch die 10 von der dänischen A/S Frichs gebauten Loks der Reihe DRG 44, die bei LEW fertiggestellt wurden und LEW-Werksnummern erhielten. Die letzte von 40 LEW-Dampfloks (DR 65 1002, LEW 16352 / 1954) verließ 1954 das Werk und beendete damit nach gut 13.000 abgelieferten Einheiten die Lokomotivtradition des Hauses Borsig.

LEW setzte als einziger E-Lok Hersteller der DDR den Lokomotivbau fort und entwickelte u.a. die verbreiteten Baureihen DR E 11, E 43, 212 und 243. Hinzu kamen Werksloks für Gruben, Tagebau und Industrie sowie U-Bahnen und Dieselloks der Baureihen DR V 60 und V 100. Auch die in den DR-BWs üblichen Akkuschlepper entstanden hier. Nach der Deutschen Wiedervereinigung gelangte LEW in Verwaltung der Treuhand und wurde 1992 von der AEG als "AEG Schienenfahrzeuge Hennigsdorf GmbH" übernommen. 1996 wurde das Werk von der "ABB Daimler Benz Transportation " (ab 1999 "DaimlerChrysler Rail Systems") unter dem Markennamen "ADtranz" übernommen und 2001 an Bombardier verkauft. 2021 wurde die "Bombardier Transportation GmbH" von der französischen "Alstom S.A." erworben.


Box: VEB Bergmann-Borsig

Der Name Borsig blieb in der DDR auch beim "VEB Bergmann-Borsig" in Berlin Pankow erhalten, wobei es sich um den größten Herstellers für Kraftwerkskomponenten in der DDR handelte. Das Unternehmen war aus der 1891 von Sigmund Bergmann gegründeten "Bergmann Electricitäts-Werke AG" hervorgegangen, hatte aber keinerlei Verbindung zum Unternehmen Borsig. Vielmehr wurde der Name als Ausdruck für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der sowjetischen Besatungszone gewählt und sollte im Wettbewerb mit den Westsektoren beeindrucken. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde der Betrieb stillgelegt und das Areal von neuen Firmen besiedelt. Hierzu zählte auch ADtranz mit einer Fabrik zur Herstellung von Schienenfahrzeugen, die 2000/2001 von der schweizer "Stadler Rail AG" als "Stadler Pankow GmbH" übernommen wurde(seit 2021: "Stadler Deutschland GmbH").



Rheinmetall-Borsig 1935-1945:

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Das düsseldorfer Rüstungsunternehmen "Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik AG" (sic!) erwarb 1933 den Borsig-Betrieb in Tegel, der nun als "A. Borsig Maschinenbau AG" firmierte. Beide Unternehmen wurden 1936 als "Rheinmetall-Borsig AG" mit Sitz in Düsseldorf zusammengeführt, die gesamte Belegschaft belief sich auf rund 50.000 Mitarbeiter. Teil der Fusion war der Rheinmetall-Standort Sömmerda, an dem Rüstungsgüter aber auch feinmechanische Geräte wie Schreib- und Rechenmaschinen gefertigt wurden.

Als Rheinmetall-Borsig setzte das Werk Tegel sein Produktionsprogramm fort und hatte sogar auch wieder ein bahntechnisches Projekt, als die DRG die Entwicklung einer Antriebsanlage für Dampftriebwagen beauftragte. Ab Mitte der 1930er Jahre produzierte das Unternehmen zunehmend Waffen und Munition für die Wehrmacht. Zur Entwicklung und zum Bau von gepanzerten Kettenfahrzeugen wurde 1937 in Berlin das Tochterunternehmen "Altmärkische Kettenwerke" (Alkett) gegründet. 1938 wurde Rheinmetall-Borsig in den Staatskonzern "Reichswerke Hermann Göring" integriert und der Firmensitz nach Berlin verlegt. Als Rüstungsunternehmen entwickelte Rheinstahl-Borsig diverse Waffensysteme, darunter auch den Lenkflugkörper "Rheintochter". Für die Produktion wurden rund 5.000 Zwangsarbeiter verschiedener Nationalitäten rekrutiert, die in Barackenlagern rund um das Firmengelände untergebracht waren. Bei Kriegsende waren die Betriebsstätten weitgehend zerstört und gelangten unter die Verwaltung der Siegermächte.

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Box: Gruppe Mannhart

Der Historiker und Arzt Dr. Max Klesse gründete 1942 in Berlin Reinickendorf die Widerstandsgruppe "Mannhart", die "Hart wie ein Mann" dem Faschismus entgegentreten wollte. Ungeachtet der Namensgebung beteiligte sich hier auch eine Reihe mutiger Frauen. Die Mitglieder kamen aus dem politisch linken Spektrum, wollten aber ihre parteilichen Differenzen überwinden und die Arbeiterklasse mit einer neuen, revolutionären Kraft einen. Es gelang in einigen Betrieben Widerstandszellen zu gründen, von denen die bedeutendste bei Rheinmetall-Borsig mit rund 30 Verschwörern agierte. Die wesentlichen Aktivitäten der Gruppe betrafen das Abhören ausländischer Radiosendungen und das Verbreiten verläßlicher Nachrichten mittels selbst erstellter Flugblätter sowie die Unterstützung Verfolgter im Untergrund. Sabotageaktionen beschränkten sich auf fälschliche Krankmeldungen u.ä. zur Verminderung der Produktionsleistung. 1943/44 wurde eine größere Zahl von Mannhart-Mitgliedern verhaftet und vom Volksgerichtshof abgeurteilt. Insgesamt wurden 13 Mannhart-Mitglieder hingerichtet oder verstarben in der Haft. Aufgrund des tapferen Schweigens der Verhafteten blieb die Gruppe selbst unentdeckt und setzte ihre Aktionen fort. Nach Kriegsende sahen viele Mannhart-Mitglieder ihre politische Zukunft bei der SED. Verschiedene Gedenktafeln erinnern an den mutigen Widerstand der Gruppe Mannhart. Nahe dem Borsig-Werkstor in Tegel wurde 1984 eine Gedenktafel enthüllt, seit 2015 finden sich hier auch 13 "Stolpertsteine", ergänzt durch eine Informationssäule hinter dem Tor.



Borsig AG / Babcock Borsig AG / Borsig GmbH nach 1945:
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges befanden sich die Borsig Werke in Berlin Tegel in einem desolaten Zustand: Rund 80 % der Betriebsstätten waren durch alliierten Bombenangriffe zerstört, die Reste wurden durch die Rote Armee demontiert. Dessen ungeachtet wurde die Arbeit wieder aufgenommen und bereits Ende 1946 zählte man 3.613 Beschäftigte. Vorrangig wurden Reparaturaufträge und Ersatzteillieferungen für Infrastruktur wie Wasserversorgung und Kraftwerke ausgeführt, wobei das Einsatzgebiet bis weit in die sowjetische Besatzungszone reichte. Allerdings wurde der Betrieb 1947 auf Anweisung des französischen Stadtkommandanten mit der Forderung nach Reparationszahlungen schon wieder eingestellt. Die Zeit des folgenden Rechtsstreites überbrückten die Borsianer durch die Gründung der Genossenschaft "Alte Tegeler Maschinen-, Kessel- und Apparatebauer eGmbH", die den Service für Borsig-Produkte aufrecht erhielt. Nach Abschluß des "Petersberger Abkommens" wurde 1950 die "Borsig AG" als Tochtergesellschaft der zum Bundesvermögen Westdeutschlands gehörenden "Rheinmetall AG" mit rund 700 Mitarbeitern neu gegründet und die Genossenschaft der "Alten Tegeler" wieder integriert. Dank massiver Investitionen konnte die Produktion modernisiert und neue Fertigungsanlagen errichtet werden, so daß man schon 1955 wieder rund 4.000 Mitarbeiter zählte als das Unternehmen an die ebenfalls staatliche "Salzgitter AG" verkauft wurde.

Das Borsigwerk verfügte nun über 2 Siemens-Martin Öfen, in denen der in der Nachkriegszeit reichlich vorhandene Schrott verwertet werden konnte. Der tägliche Ausstoß lag bei 150 t Stahl, der im Kokillenguß verarbeitet bzw. in Form von Brammen zwischengelagert wurde. Ab den 1960er Jahren ermöglichte ein Lichtbogen-Elektroofen auch die Herstellung von Qualitätsstählen. Das Produktportfolio bot Kesselanlagen, Dampfmaschinen und -turbinen, Hochdruckrohrleitungen mit Spezialarmaturen, Pumpen, Kälteanlagen sowie anspruchsvolle Guß- und Schmiedestücke. Neu im Programm waren Turboverdichter für Gase sowie Großdieselmotoren mit Leistungen von bis zu 13.500 PS, die nach einer Lizenz von FIAT Turin bis 1971 gebaut wurden. Eine weitere Neuheit waren Kugelhähne für Öl- und Gaspipelines, bei denen sich Borsig weltweit als Marktführer etablieren konnte. 1966 zählte das Unternehmen rund 6.000 Mitarbeiter und war damit einer der bedeutendsten Arbeitgeber in West-Berlin.

Trotz des weltweit glänzenden Rufs ihres Namens schaffte es die Borsig AG lange Zeit nicht aus der Verlustzone heraus zu kommen, was u. a. mit der "Insellage" in West-Berlin erklärt wurde. Als Ausweg wurde die Privatisierung beschlossen und das Unternehmen als GmbH von der neu gegründeten bundeseigenen "Deutschen Industrieanlagen GmbH" (DIAG) übernommen. Das Rohr- und Walzwerk in Tegel wurde an die Thyssen-Gruppe verkauft, das übrige Werk wurde 1970 durch die "Deutsche Babcock AG" übernommen. Diese richtete das Unternehmen auf den Export aus und konnte innerhalb weniger Jahre den Umsatz verdoppeln mit der UdSSR und China als den wichtigsten Exportmärkten. Die Geschäftsentwicklung der Babcock verlief dagegen nicht so positiv und Borsig wurde in den 1980er Jahren zum Nettozahler im Mutterkonzern. 1988 wurde der größte Teil des Werksgeländes inkl. der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude an den Berliner Senat verkauft, die "Borsig-Wohnungsbau GmbH" mit den Miethäusern in Borsigwalde ging an die "GESOBAU AG". Anfang der 1990er Jahre wurde der Bau von Kesselanlagen und Kugelhähnen sowie die Kältetechnik aufgegeben, die Verdichtersparte wurde an MAN verkauft. Auch die Umfirmierung der Holding in "Babcock Borsig AG" 1999 konnte am Niedergang des Unternehmens nichts ändern. Schließlich erklärte die Babcock-Borsig AG 2002 Konkurs und verursachte mit rund 22.000 Arbeitslosen und einem Schaden von rund DM 5 Mrd. die bis dahin zweitgrößte Firmenpleite in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die einzelnen Produktionsbereiche des Hauses Borsig wurden an verschiedene Interessenten veräußert. Lediglich die Sparte Apparatebau konnte sich durch ein Management-Buyout retten und mit dem temporären Investor "capiton AG" neu als "Borsig GmbH" aufstellen. In den folgenden Jahren wurde das neue Unternehmen durch die Übernahmen der "Zwickauer Maschinenfabrik" (ZM) 2004 und des Kesselbauers "DIM KWE" 2006 erweitert. Es entstand die Borsig Gruppe mit rund 500 Mitarbeitern und den 5 eigenständigen Geschäftsbereichen:

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BORSIG Process Heat Exchanger GmbH
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BORSIG ZM Compression GmbH
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BORSIG Membrane Technology GmbH
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BORSIG Boiler Systems GmbH
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BORSIG Service GmbH


2008 beendete die capiton AG ihr Engagement und die Borsig-Gruppe wurde an die malaysische "KMN Group" verkauft, die den altehrwürdigen Namen "Borsig" weiter pflegte. Die Borsig GmbH wurde auf dem alten Werksgelände angesiedelt und mietete ihre Büro- und Produktionsflächen von der niederländischen Investmentgesellschaft DDS Lime B.V. im "Sirius Business Park Borsigwerke" an. 2012 zählte das Unternehmen zum 175. Firmenjubiläum über 6oo Mitarbeiter. Stand 2022, wurden 4 Fertigungsstandorte in Deutschland sowie Niederlassungen in Moskau und Peking betrieben.


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