1 Unternehmensgeschichte

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Das Unternehmen unter Albert Borsig 1854-1878:
Albert Borsig übernahm 1854 im Alter von 25 Jahren die Leitung des väterlichen Unternehmens und widmete sich mit großer Energie dem Aufbau des oberschlesischen Standortes Biskupitz. Schließlich verlagerte er aus wirtschaftlichem Kalkül seine gesamte Eisenproduktion nach Schlesien, wobei 131 Arbeiterfamilien aus Berlin Moabit umgesiedelt wurden und in der neuerrichteten Siedlung "Borsigwerk" ein neues Heim erhielten. Die Entwicklung des schlesischen Standortes führte auch in den berliner Werken zu Veränderungen. So gab das Eisenwerk in Moabit die Herstellung von Stahl und Halbzeugen auf und wurde als Kesselschmiede umgerüstet. Gleichzeitig wurden alle Schmiedearbeiten der Lokomotivproduktion hierher verlegt, was den Standort in der Chausseestraße entlastete. Die Maschinenfabrik in der Kirchstraße fertigte große Maschinen wie Dampfmaschinen und Kolbenpumpen sowie die Stahlkonstruktionen für den Hochbau.

Unter der Ägide Albert Borsigs erfuhr das Unternehmen ein lebhaftes Wachstum und etablierte sich als der führende Maschinenbauer Preußens, was 1858 mit dem Fest zur Fertigstellung der 1.000sten Lok groß gefeiert wurde. Ein wesentlicher Faktor war dabei die Erschließung von Exportmärkten. Während zu Zeiten August Borsigs fast alle Lokomotiven in deutsche Staaten verkauft worden waren, erreichte Albert Borsig eine Exportquote von rund 70 % und eine Steigerung der Jahresproduktion auf 181 Lokomotiven (1874). Borsig war damit nicht nur in Deutschland der führende Lokomotivhersteller, sondern auch nach den "Baldwin Locomotive Works" USA weltweit an zweiter Stelle. Hinzu kamen nennenswerte Lieferungen an das preußische Militär mit Artillerielafetten und Schiffsschrauben aus Bronzeguß sowie von Torpedos und Seeminen während des Deutsch-Französischen Krieges 1870-71. Der Erfolg des Unternehmens erreichte Anfang der 1870er Jahre seinen Zenit, bevor die Folgen der kollabierenden Wirtschaft und der sinkenden Nachfrage nach den "Gründerjahren" auch das Haus Borsig belasteten. Albert Borsig verstarb 10. April 1878 unerwartet an Herzversagen und hinterließ 4 Werke mit rund 3.500 Mitarbeitern an den Berliner Standorten und 2.500 weiteren bei den schlesischen Borsigwerken.


Das Unternehmen unter dem Nachlaßkuratorium 1878-1894:
Albert Borsig hatte testamentarisch bestimmt, daß seine 3 Söhne nach dem Erreichen der Volljährigkeit des Jüngsten die Leitung des Unternehmens übernehmen sollten. Bis dahin wurde diese Aufgabe einem Nachlaßkuratorium überantwortet, in das leitende Borsigmitarbeiter berufen wurden, die Interessen der Familie gegenüber dem Kuratorium vertrat die Witwe Anna Borsig. Da in den Jahren 1879-84 der größte Teil der preußischen Bahnen verstaatlicht wurden, führte der daraus resultierende Überbestand an Lokomotiven zu einem deutlichen Rückgang des Eisenbahngeschäfts. Gleichzeitig hatte man den Exportmarkt für Lokomotiven vernachlässigt, sodaß auch hier rückläufige Zahlen zu verzeichnen waren. Daher wurde der Beschluß gefaßt, zum 1. Oktober 1886 die Produktion von Lokomotiven gänzlich einzustellen und das Werk in der Chausseestraße zu schließen. Auf Grund vehementer Proteste von Kundenseite wurde der Lokbau aber in vermindertem Umfang in Moabit weiter betrieben. Demgegenüber wurde die Fertigung von Kesseln, Dampfmaschinen und Kolbenpumpen sowie von Hochbaukonstruktionen erfolgreich weiter betrieben. Mit der absehbaren Übernahme des Unternehmens durch die Erben agierte das Kuratorium aber zunehmend passiv und scheute vor mittel- und langfristigen Entscheidungen zurück. Statt Investitionen zu tätigen, wurde das Kapital bevorzugt in Wertpapieren angelegt, so daß den Erben 1894 letztendlich veraltete Strukturen übergeben wurden.


Das Unternehmen unter Conrad, Ernst & Arnold Borsig 1894-1933:

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Die 3 Söhne Albrecht Borsigs Arnold, Ernst und Conrad waren mit ihren Ausbildungswegen auf ihre künftigen Aufgaben bei der Übernahme des Familienunternehmens am 1894 vorbereitet worden. Arnold Borsig machte sich daran, das schlesische Borsigwerk zu modernisieren und kam hier bereits 1897 bei einem Grubenunglück ums Leben. Am berliner Standort übernahm Ernst Borsig die Betriebsleitung und Conrad Borsig die kaufmännische Leitung. Der neue Ansatz spiegelte sich auch im Führungsstil des Betriebes wider, der nun nicht mehr patriarchalisch geleitet wurde, sondern schrittweise in die Verantwortung eines modernen Managements überführt wurde. Die Eigentumsverhältnisse der Brüder wurden als "OHG A. Borsig" organisiert und die Verwaltung des Borsig´schen Besitzes einem Zentralbüro übertragen, beide Körperschaften bezogen 1899 ein eigens errichtetes Verwaltungsgebäude in der Chausseestraße. 1920 erfolgte eine vertragliche Neuordnung, nach der die Beziehungen der einzelnen Einheiten im Borsig´schen Unternehmen in einem sogenannten "Interessengemeinschaftsvertrag" festgelegt wurden. Die Werke in Tegel und Biskupitz wurden rechtlich selbständige Einheiten, die mit der OHG und der aus dem Zentralbüro hervorgegangenen "A. Borsig Zentralverwaltung GmbH" eine Interessengemeinschaft bildeten. Die Söhne von Ernst und Conrad von Borsig traten mit dem Erreichen ihrer Volljährigkeit in die OHG ein im Hinblick auf die künftige Erbfolge.

Die neue Betriebsführung widmete sich mit großem Elan der Revitalisierung des Unternehmens. Die beiden moabiter Standorte wurden als nicht mehr zeitgemäß erachtet und stattdessen ein radikaler Neubeginn in Form eines neuen Werkes gewagt. Ein geeignetes Gelände wurde in Tegel bei Berlin gefunden, das sowohl per Straße und Schiene, als auch auf dem Wasserweg über einen eigenen Kai erreichbar war. Das hier errichtete Werk war nach modernsten Erkenntnissen für eine rationelle Produktion ausgelegt und mit neuesten Maschinen, einem weitverzweigten Werksbahnnetz sowie einem eigenen Kraftwerk ausgestattet. Parallel dazu wurde 1898 die "Terraingesellschaft Tegel mbH" (ab 1899 "Borsigwalder Terrain AG") gegründet. Diese erwarb in der näheren Umgebung des neuen Werkes zusätzlichen Grund, der mit Bebauungsplänen sowie der Anlage von Straßen als baureifes Gelände erschlossen wurde. Auf einem Teil der Flächen entstand die Arbeitersiedlung "Borsigwalde", andere Areale wurden Investoren zur Schaffung von Wohnraum und Gewerbe angeboten, um die wirtschaftliche Entwicklung Tegels zu befördern.

Das neue Werk in Tegel nahm 1898 den Betrieb auf und wurde in den folgenden Jahren erheblich erweitert, die alten moabiter Standorte wurden stillgelegt und 1902 zählte man rund 7.200 Mitarbeiter. Das Produktionsprogramm bestand zunächst aus den erfolgreichen Dampfkesseln, Dampfmaschinen sowie aus Kolbenpumpen und -verdichtern. Zusätzlich wurde der Lokomotivbau wieder aufgenommen und mit von 409 Loks im Jahr 1909 zu einem neuen Rekord geführt. Als neue Produktgruppen kamen Mammutpumpen (Druckluftheber zum Fördern feststoffbeladener Flüssigkeiten), Kältemaschinen, chemische Anlagen, Entstaubungsanlagen für Gebäude sowie Rohrleitungen inkl. Armaturen wie Ventilen und Schiebern hinzu. Eine weitere Neuerung waren Lokomobilen, die als Landschlepper und Dampfpflüge angeboten wurden. 1902 begann die Lizenzfertigung von Großgasmaschinen nach den Patenten von Wilhelm Oechelhäuser und Hugo Junkers, die aber nicht zu einem dauerhaften Produktsegment wurden. Es handelte sich um Gegenkolbenmotoren für den Einsatz in Kraftwerken, die bei Borsig mit einer Leistung von bis zu 1.800 PS gebaut wurden.

Die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jhdts. wurden zu den erfolgreichsten Jahren von Borsig. Die Lokomotivsparte erreichte bis zum 1. Weltkrieg im Mittel einen jährlichen Ausstoß von rund 300 Einheiten und machte rund 60 % des Umsatzes aus bei einem Exportanteil von 50 %. Borsigprodukte wurden weltweit erfolgreich vertrieben mit Rußland als wichtigstem Abnehmer. Mit dem Kriegsausbruch 1914 wurde Borsig umgehend zu Heereslieferungen herangezogen und fertigte große Mengen an Munition, Teile für den U-Bootbau sowie Anlagen für die Rüstungsindustrie. Durch die Bedingungen des Versailler Friedensvertrages 1918 erfolgte die Umstellung auf zivile Geschäftsfelder. Borsig profilierte sich als Spezialist für Dampftechnik und baute Dampfkraftanlagen mit Hochleistungskesseln und Turbinen. Auch die Fertigung von hochwertigen Guß- und Schmiedeerzeugnissen für den Großmaschinenbau gewann eine immer größere Bedeutung. Daneben suchte man den zivilen Verbrauchermarkt mit Haushaltsgeräten wie dem Handstaubsauger "Saugling" und mit Kühlschränken sowie dem "Borsig-Motorschlepper" zu erschließen. Allerdings erreichte keine dieser neuen Produktgruppen nennenswerte Marktanteile. Als weithin sichtbares Wahrzeichen des neuen Geistes wurde 1924 der ikonische Borsigturm auf dem Werksgelände in Tegel eingeweiht. Dessen Bau wurde intern allerdings kritisch gesehen, da sich bereits die kommende finanzielle Schieflage des Unternehmens abzeichnete.


Box: Borsig-Motorschlepper

Zu den innovativen Produkten, mit denen Borsig nach dem 1. Weltkrieg auf den zivilen Massenmarkt vordringen wollte, zählte ab 1924 ein Kraftschlepper für die Landwirtschaft. Der "Borsig-Motorschlepper" verwendete einen 4-Zylinder Viertaktmotor der "Heinrich Kämper Motorenfabrik" mit einer Leistung von 25 PS bei 800-1200 U/min, der sich mit Gasöl, Petroleum, Spiritus oder Benzin betreiben ließ. Das Fahrwerk bestand aus 2 vorneliegenden großen Antriebsrädern sowie einem nachlaufenden Stützrad. Die Bedienung des Fahrzeuges war möglichst einfach ausgelegt, um das Anlernen von Landarbeitern zu erleichtern. So wurde auf ein Schaltgetriebe verzichtet und die Fahrgeschwindigkeit stattdessen durch das Auswechseln von Zahnrädern an die Arbeitsbedingungen angepaßt. Die Steuerung erfolgte über Zügel, die der Fahrzeugführer vom Fahrersitz aus oder neben dem Schlepper gehend bedienen konnte. Zur Kurvenfahrt wurde durch Ziehen eines Zügels die auf der inneren Kurvenseite liegende Differentialscheibe abgebremst und damit das dazugehörige Rad verzögert. Durch das Ziehen beider Zügel wurde ausgekuppelt, weiteres Ziehen löste die Bremsung aus. Der Schlepper wog 1,7 t bei einer Länge von 4,6 m, Breite und Höhe betrugen jeweils 1,7 m. Die Fahrgeschwindigkeit lag je nach Getriebeeinstellung zwischen 4,5 und 7 km/h, wobei Lasten von bis zu 12 t gezogen werden konnten. Die Anzahl der produzierten Fahrzeuge ist nicht überliefert, etwaige erhaltene Borsig-Motorschlepper sind nicht bekannt.

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Trotz aller Anstrengungen, ließen sich die Verluste aus der Inflation 1923 und dem dramatischen Niedergang des heimischen Lokomotivmarktes nicht auffangen. Hier gab es erhebliche Überkapazitäten, da nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages einige vormalige Rüstungsbetriebe sich ein neues Geschäftsfeld im Eisenbahnmarkt erschlossen hatten. Die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft (DRG) verteilte ihre Bestellungen nach einer Quotenregelung und kündigte 1928 sogar einen Verzicht auf Neubeschaffungen von Lokomotiven an. Dieser Ausfall erwarteter Bestellungen traf alle deutschen Lokomotivhersteller hart, die zusammen über eine Jahreskapazität von rund 5.000 Einheiten verfügten. Einige Unternehmen stellten daher den Lokbau ein, andere versuchten sich mit Fusionen zu helfen. So auch Borsig mit der Übernahme des Lokbaus der "Stettiner Maschinenbau Actien-Gesellschaft Vulcan". Insgesamt konnte Borsig dem Druck aber nicht standhalten und das Unternehmen begann zu zerfallen. Ernst und Conrad von Borsig versuchten ihre Firma mit Krediten zu retten, wobei sie auch ihr Privatvermögen als Sicherheit einsetzten. Der Bau von Dampfpflügen wurde 1928 an "Julius Kemna" in Breslau abgegeben, am schlesischen Standort wurde 1930 das Eisenwerk geschlossen und die Gruben kurz darauf veräußert. Der Lokomotivbau machte nur noch 8 % des Umsatzes aus und wurde zum 1. Januar 1930 offiziell beendet, wobei der gesamte Geschäftsbereich als neugegründetes Unternehmen "Borsig Lokomotiv-Werke G.m.b.H. (BLW) von der AEG übernommen wurde. Schlußendlich mußte Borsig auf Grund einer unzulänglichen Finanzierung und nicht zuletzt als Folge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 alle Zahlungen einstellen und Ende 1931 ein Vergleichsverfahren beantragen. Die Firma Borsig selbst wurde zur Weiterführung des Betriebs als "A. Borsig Betriebsgesellschaft m.b.H." umgewandelt, die Familie Borsig schied aus dem Unternehmen aus. Lediglich die OHG A. Borsig verblieb im Familienbesitz und wurde 1937 als "Borsigsche Vermögensverwaltung" umfirmiert, die 1981 ihre Tätigkeit beendete.


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