Der große Siam-Deal 1930 - Teil 1: Hintergrund, Geschäft



Historischer Kontext

Das Königreich Siam (seit 1939 Thailand) bildete eine Ausnahme unter den Staaten Süd-Ost-Asiens, da es nie unter Kolonialverwaltung stand. Vielmehr öffnete sich das Land dem Westen und strebte nach Modernisierung entsprechend europäischer Ideen. Dabei genossen Dänen ein besonderes Vertrauen, da ihr Land im Gegensatz zu den dominierenden Mächten Großbritannien und Frankreich keine kolonialen Intentionen in Asien verfolgte. Eine erste Handelskonzession wurde dänischen Kaufleuten 1621 gewährt, 1858 schlossen beide Monarchien einen Vertrag über Freundschaft und Handel, 1955 eröffnete Dänemark seine Botschaft in Bangkok. Insbesondere König Chulalongkorn oder Rama V (* 1853, † 1910) gelang es, sein Land nach westlichen Vorbildern zu reformieren und die staatliche Einheit gegen die Ambitionen Englands und Frankreichs zu behaupten. Ab den 1890er Jahren wurde die Infrastruktur des Landes u.a. mit dem Bau von Brücken und Eisenbahnlinien entwickelt, wobei man sich auf die Expertise auswärtiger Spezialisten stützte. Diese Linie verfolgten auch die Nachfolger des Königs, bis der Staatsstreiches von 1932 die Regierungsform in eine konstitutionelle Monarchie überführte. In den Jahrzehnten des Aufbaues schufen die reichen Ressourcen des Landes, gepaart mit der Entscheidungsfreiheit des absoluten Monarchen, ein wirtschaftliches Eldorado, das von keiner Kolonialmacht kontrolliert wurde. So entstand eine Atmosphäre, die wagemutige Unternehmergestalten und Glücksritter aus aller Welt magisch anzog, darunter eine nennenswerte Anzahl von Dänen, von denen ca. 25 hohe Offiziersränge bei der Königlich Siamesichen Marine bekleideten. Unter diesen fielen zwei Herren auf, die in bester Vikingertradition in jungen Jahren voller Abenteuerlust zur See fuhren und später wohlhabend heimkehrten. Beide pflegten hevorragende Kontakte gleichermaßen zum siamesischen wie zum dänischen Hof und sicherten sich Schlüsselpositionen im dänischen Wirtschaftsleben:

Hans Niels Andersen (* 1852, † 1937) fuhr zur See, arbeitete sich hoch als Kapitän und ließ sich 1873 in Bangkok nieder. Hier gründete er 1884 das Unternehmen "Andersen & Co" gründete und betätigte sich u.a. als Schiffsausrüster und Hotelbetreiber, zeitweilig diente er als Kapitän in der Königlich Siamesischen Marine. 1896 kehrte er nach Kopenhagen zurück mit dem Ziel, die dänische Hauptstadt als baltisches Zentrum des Ostasienhandels zu etablieren. 1897 gründete er gemeinsam mit dem Direktor der "Landmandsbanken" Isak Glückstadt (*1839, † 1910) die "A/S Det Østasiatiske Kompagni" (ØK), die international als "The East Asiatic Company A/S" (EAC) bekannt war. Die ØK beschaffte eine Flotte von Handelsschiffen, die bei der Werft "Burmeister & Wain" (B&W) in Kopenhagen vom Stapel liefen. Man importierte zunächst vorwiegend Teakholz, später kamen Soja und andere Rohprodukte hinzu, die u.a. in ØK-eigenen Unternehmen wie der "Dansk Sojakagefabrik A/S" (DS) verarbeitet wurden. 1920 war die ØK Dänemarks größtes Unternehmen mit weltweit rund 20.000 Mitarbeitern und 27 Schiffen. Nach einer turbulenten Firmengeschichte erlosch die Marke ØK, als das Unternehmen 2015 in der "Santa Fe Group" aufging.

Andreas du Plessis de Richelieu (* 1852, † 1932) wurde als Sohn einer nach Dänemark emigrierten Hugenottenfamilie geboren und wählte eine Offizierlaufbahn der dänischen Handelsmarine. 1875 konnte er eine Audienz beim dänischen König Christian IX erwirken, der ihm ein Empfehlungsschreiben für den siamesischen Hof gewährte. Dort gewann er das Vertrauen Königs Chulalongkorn und erhielt das Kommando über ein Kriegsschiff, später über die Staatsyacht "Maha Chakri". 1893 kommandierte Richelieu die Festung "Phra Chulachomklao" bei der Verteidigung gegen französiche Kanonenboote während des "Paknam-Zwischenfalls". Sein Einsatz blieb allerdings ohne Erfolg, da die siamesischen Mannschaften völlig ungeschult im Umgang mit modernen Geschützen waren. Seine eigentlichen Qualitäten zeigte Richelieu als Geschäftsmann, der lukrative Konzessionen für die Anlage einer Bahnlinie, einer Straßenbahn sowie für die "Siam Electric Company Ltd." erhielt. Daneben erwarb er knapp die Hälfte der Anteile an "Andersen & Co" und profitierte von Aufträgen der Flotte. Bei seinem Abschied aus Siam 1902 bekleidete kommandierte als Admiral die siamesischen Marine und bekleidete das Amt des Marineministers. Zurück in Dänemark zählte er zu den Reichsten des Landes und setzte seine Aktivitäten an führenden Positionen von Unternehmen wie ØK, Landmandsbanken, B&W und der Reederei DFDS fort.

Neben diesen spektakulären Biographien führten die vielfältigen dänisch-thailändischen Verbindungen zahlreiche Dänen in das fernöstliche Land. Ein weiteres Zeugnis eines solchen abenteuerlichen Lebenslaufs gibt die Ausstellung "Skatkammer Siam" (bis 2020: "Siamesisk Samling") im "Museum Østjylland", Ebeltoft. Der hier gebürtige Förster Rasmus Havmøller (* 1890, † 1940) machte sich 1914 auf den Weg nach Siam und wählte für ein Sägewerk der ØK geeignete Teakbäume zur Fällung aus. Später hielt er zeitweilig Anteile an einer Zinnmine, arbeitete zuletzt für die "Siam Cement Plc." und kehrte 1933 mit Malaria heim, wohin er seine siamesische Frau und die gemeinsamen Kinder mitnahm. Hinzu kam seine umfangreiche Sammlung von Jagdtrophäen, Tierpräparaten und ethnographischen Objekten, die er in seinem Haus gegen Eintritt präsentierte. 1940 stellte er die Sammlung dem Ebeltoft Museum zur Verfügung und richtete deren Ausstellung selbst ein. Noch im selben Jahr ertrank Havmøller in der Ebeltoft Bucht, wohl als er sich bei einem Malaria-Fieberanfall abkühlen wollte.


Das Geschäft

Die 1893 eröffneten "Royal State Railways of Siam" (RSR) entwickelten sich zum wesentlichen Verkehrsträger Siams und so entschloß man sich in den 1920er Jahren zu einer umfasssenden Modernisierung. Das Schienennetz von 2.250 km wurde auf die Spurweite 1.000 mm vereinheitlicht und die Dampfloks sollten durch Dieseltraktion abgelöst werden. Gegen die Dampftraktion sprachen der hohe Brennstoffverbrauch der holzgefeuerten Loks sowie deren Wasserbedarf auf Strecken mit schlechter Wasserversorgung. Zur Erprobung der Dieseltechnik wurden 1928 zunächst zwei Maschinen von der "Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik" (SLM) beschafft. Die Untersuchung führte im Folgejahr zur Ausschreibung von 13 Loks und 6 Triebwagen mit Dieselmotoren. Es handelte sich hier um die erste Staatsbahn, die sich zum Wechsel auf Dieseltraktion entschloß, was in Fachkreisen international Beachtung fand und dem Lieferanten ein strahlendes Image versprach. Das erkannte man auch bei der A/S Frichs in Aarhus, wo gerade ein ganzes Typenprogramm von Triebfahrzeugen mit dieselelektrischer Transmission konzipert wurde. Man unternahm erhebliche Anstrengungen, um das Interesse der RSR zu gewinnen. Gleichzeitig brachte Richelieu über seine Kontakte mit Siam den Mitbewerber B&W ins Spiel, wo er Vorstandsmitglied war. Der zu Studienzwecken in Dänemark weilende siamesische Handels- und Verkehrsminister Prinz Purachatra wurde zu Probefahrten mit DSB MW 113 von B&W und DSB MV 115 von Frichs geladen und durfte mit letzterer selbst über die Gleise brettern. Schließlich verkündete die RSR 1930 ihre Wahl: Frichs erhielt Aufträge für 7 Dieselloks und kurz darauf auch für 6 Nahverkehrstriebwagen, 6 weitere Loks wurden bei der Sulzer AG in Winterthur bestellt. Hinzu kamen Aufträge an die dänischen Unternehmen Scandia A/S über 4 Schlafwagen sowie für Christiani & Nielsen zum Bau eines Depots für Dieselloks. Weitere Beschaffungen kamen nicht zu Stande, da die friedliche Revolution von 1932 die Verhältnisse in Siam grundlegend änderten und die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 den Staatshaushalt erheblich belasteten. Erst 1939 sprach die RSR weitere Bestellungen aus, die allerdings alle an die Sulzer AG gingen.


Übersicht
Teil 1: Hintergrund, Geschäft
Teil 2: Die Lieferungen
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