Steckbrief SBB CFF Xe4 99701 "Dynamometerwagen"

Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) stellten 1914 einen "Dynamometerwagen" als SBB Xd4ü Nr. 99701 in Dienst, der als rollender Meßstand für fahrdynamische Untersuchungen diente. So sollte die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Lokomotiven sowie die Widerstände von Rollmaterial festgestellt werden. Der Bau des Wagen erfolgte bei der "Schweizerische Industriegesellschaft" (SIG) in Neuhausen nach Vorgaben der SBB. Die Meßapparate kamen von der Firma "Gebrüder Amsler" in Schaffhausen, die für die Untersuchung elektrischer Lokomotiven benötigten Geräte stammten von der "Siemens & Halske AG", Berlin. Im einzelnen handelte es sich laut zeitgenössischen Quellen um folgende Meßvorrichtungen:

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Hydraulischer Zugkraftmesser mit Zug- und Stoßvorrichtung
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Geschwindigkeitsmesser
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Ergometer und Trägheitskraftmesser
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Arbeitsmesser am Zughaken
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Leistungsmesser am Zughaken (Pferdekraftmesser)
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Windmesser
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Empfänger-Apparate der Böttcherschen Leistungszähler
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Apparate für die Messung der Bremskräfte und Bremsvorgänge
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Schreibvorrichtung und Zubehör
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Apparate für die Messung der Leistung elektrischer Lokomotiven


1932 wurde die Ausrüstung des Wagens mit Vorrichtungen zur Gleisvermessung ergänzt. Die kontinuierliche Aufzeichnung der Meßwerte erfolgte mit 9 Schreibern auf einem 65 cm breiten Endlospapierstreifen, der sich mit 20 cm pro gefahrenen Gleiskilometer bewegte.

Der Dynamoterwagen SBB 99701 wurde mit einem besonders verstärkten Rahmen ausgeführt und lief auf 2 zweiachsigen Drehgestellen. Der Wagenkasten ruhte zur Schalldämpfung auf einer 2 cm starken Filzunterlage und verfügte an beiden Enden über Einstiege mit eingerückten Türen. Am vorderen Ende des Wagens lag der Versuchsraum mit den Messvorrichtungen, von dem aus durch eine hochgesetzte Aussichtskanzel auch die Beobachtung der Strecke möglich war. Mittig im Wagen war ein Arbeitsraum mit 10 Sitzplätzen und ausklappbaren Tischen eingerichtet. Am hinteren Wagenende war eine kleine Werkstatt sowie ein WC mit Waschgelegenheit angeordnet, die beide durch einen Seitengang passiert werden konnten. Die Beleuchtung des Wagens erfolgte elektrisch, eine eigene Heizung war nicht vorgesehen. Die Aussichtskanzel wurde 1954 entfernt und an der nächstgelegenen Stirnseite des Wagens durch großzügige Panoramascheiben ersetzt.

Die DSB lieh den Dynamometerwagens SBB 99701 ab 1946 mehrfach aus, da der zuvor verwendete DR-Meßwagen nicht mehr verfügbar war. Dabei war der Wagen jeweils im September oder Oktober für 3-4 Wochen in Dänemark im Einsatz. Das Fahrzeug wurde von drei SBB-Technikern begleitet, die die Instrumente warteten und bei der Interpretation der Meßwerte assistierten. In Dänemark wurde die Mannschaft durch drei DSB-Ingenieure ergänzt. Die Meßfahrten erfolgten auf den DSB-Hauptstrecken vorwiegend im Raum Kopenhagen, wobei ausschließlich Gleisvermessungen durchgeführt wurden.


Technische Daten SBB CFF Xe4 99701 "Dynamometerwagen":
Anzahl 1
Hersteller SIG
Baujahr 1914
Länge über Puffer 17.350 mm
Drehzapfenabstand 10.960 mm
Achsstand im Drehgestell 2.500 mm
zul. Höchstgeschw. - km/h
Dienstgewicht 37,5 t
Einrichtung 1 Meßraum, 1 Arbeitsraum, 1 Werkstatt, 1 WC


Abbildungen:

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Der "Dynamometerwagen" SBB Xd4ü Nr. 99701 erhielt 1948 die neue Wagennummer 91101 und wurde 1968 als SBB X4 91403 und 1974 als SBB X 99-43 102 umgezeichnet. 1979 übernahm die "Oensingen-Balsthal-Bahn" (OeBB) das Fahrzeug und baute es als Salon- und Barwagen "Chluser Schnägg" OeBB As 411 um. 2006 wurde der Wagen an das "Bahn-Museum Kallnach" verkauft und wurde nach einer gescheiterten Instandsetzung in dem von der Familie Wymann privat geführten "Bahnmuseum Kerzers" abgestellt. Da das Museum über kein eigenes Gelände verfügte, wurde es 2014 geschlossen und die Exponate auf verschiedene Museen u.a. als Dauerleihgaben verteilt.

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2017 rettete der frisch gegründete "Verein Dynamometerwagen Xd4ü 99701" der Familie Rutschmann das Fahrzeug vor der Verschrottung und ließ den Wagen bei der "Historic Rail Services GmbH" 2020-21 aufarbeiten. Der Wagen wurde äußerlich weitgehend in den Ablieferungszustand von 1913 zurückgebaut, der Holzaufbau des Wagenkastens wurde repariert und neu mit Blech verkleidet. Die Beobachtungskanzel wurde neu aufgebaut und das Dach neu verblecht. Als Novität wurde eine Panzerglasscheibe im Wagenboden eigelassen, die eine ganz eigene Form der Streckenbeobachtung ermöglicht. Auf die Revision folgte im Juni 2021 die technische Inbetriebnahme des Wagens und anschließend die Einrichtung als Gesellschaftswagen. Der Innenraum wurde mit edlem Furnier und Holzfußboden gestaltet, es ist der Einbau einer kleinen Küche, eines WCs, einer Bar sowie einer Lounge im hinteren Teil des Wagens geplant. Das Fahrzeug wird in Winterthur geschützt untergestellt und ist auf dem ganzen SBB-Netz zugelassen. Zur Finanzierung des Projektes ist die Vermietung des Wagns geplant. Der Fortschritt der Arbeiten läßt sich auf der FB-Seite Verein Dynamometerwagen Xd4ü 99701 verfolgen.


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Quellen:
Bachmann, Delia (2022): Familie baut historischen Zug um: In ihren eigenen Bahnwaggon steckten sie 750.000 Franken. Tagesanzeiger 14.09.2022 (online)
Brassel, René: Historic Rail Services GmbH, www.historail.ch / Persönliche Mitteilung.
Gaudy, H. A. (1914): Vierachsiger Dynamometerwagen der Schweizerischen Bundesbahnen (Teil 1). Schweizerische Bauzeitung, Band 64, Heft 4: 41-54. (online verfügbar bei ETH-Zürich).
Gaudy, H. A. (1914): Vierachsiger Dynamometerwagen der Schweizerischen Bundesbahnen (Teil 2). Schweizerische Bauzeitung, Band 64, Heft 6: 73-78. (online verfügbar bei ETH-Zürich).
Historic Rail Services GmbH: www.historail.ch.
Jessen, Micheli (1950): Den schweiziske overbygningsmålevogn. Vingehjulet 7. årgang nr. 11: 113-116 (online verfügbar unter rundremisen.dk).
N.N. (1930): Wir sorgen für Ihre Sicherheit. SBB Revue, Band 4 (1930), Heft 10: 32-33, 37 (online verfügbar bei ETH-Zürich).
Rutschmann, Daniel: Persönliche Mitteilung.


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