4. Borsig Standorte und Anwesen
4.1 Standorte
Box: Feuerland
Das als Vogtland bekannte Gebiet nördlich der berliner Stadt- und Akzisemauer vor
dem Oranienburger Tor bestand um 1800 aus ertragsarmen Ackerflächen,
die durch das nahe gelegene Invalidenhaus verpachtet wurden.
Vereinzelt fanden sich ärmliche Häuser entlang der nach
Norden verlaufenden Chausseestraße. Dieser Zustand begann sich
zu ändern, als 1804 die "Königliche Eisengießerei"
in der Invalidenstraße als staatlicher Musterbetrieb errichtet
wurde. Hier wurde u.a. das Denkmal auf dem Kreuzberg und die Brücke
zwischen den Türmen des Schlößchens auf der
Pfaueninsel gegossen sowie 1816 die erste Dampflok auf dem
europäischen Kontinent gebaut - letztere ein fulminanter
Mißerfolg. Es folgten verschiedene Unternehmer, die sich mit
ihren "Maschinenbauanstalten" in der Chausseestraße
nieder ließen: 1827 Franz Anton Egells, 1837 August Borsig,
1838 Friedrich Adolph Pflug, 1842 Friedrich Wöhlert, 1852 Louis
Schwartzkopff und 1860 Mathias Weber. 1847 waren auf diesem eng
begrenzten Gebiet 33 metallverarbeitende Betriebe mit über 3.000
Beschäftigten ansässig. So entstand Preußens erstes
industrielles Zentrum, das mit seinen rund um die Uhr funkensprühenden
Schornsteinen vom Volksmund umgehend "Feuerland" getauft
wurde. Die Arbeiterschaft hauste in den nahegelegenen Mietskasernen
der Oranienburger Vorstadt meist unter prekären Bedingungen, was
Bettina v. Arnim zu 1843 ihrer Sozialreportage "Dies Buch gehört
dem König" veranlaßte. Das Leben der Maschinenbauer
vom Feuerland schilderte der Ingenieur Heinrich Seidel 1880-83 in
seinem Roman "Leberecht Hühnchen".
Zum Ende des 19. Jahrhunderts wanderten die Betriebe aus der Chausseestraße ab,
da die räumlichen Verhältnisse hier zu eng geworden waren.
Die Betriebsflächen wurden abgetragen und durch einen Mix von
"Wohn- und Gewerbebauten ersetzt. Wohl als einziges Bauzeugnis
dieser Zeit blieb ein Gebäude von Egells "Neuer Berliner
Eisengießerei" erhalten, das über die Novalisstraße erreichbar ist.
Zugang: Novalisstr. 10, 10115 Berlin; GPS: 52°31′44.17″N 13°23′17.14″E
Der Name "Feuerland" findet sich noch am 1890 erbauten Wohn- und Geschäftshaus
"Haus Feuerland" an der Ecke Torstraße 231 / Chausseestraße
1 sowie an den "Feuerlandhöfen" Chausseestraße
39-42. Keines dieser Objekte stammt aus der industriellen Gründerzeit
am Oranienburger Tor. Die um 1900 errichtete Wohn- und
Gewerbeimmobilie Chausseestraße 8 liegt auf dem ehemaligen
Borsiggelände und wird als "Alte Lokfabrik"
vermarktet, die Gebäude dürften aber niemals eine Lok aufgenommen haben.
Haus Feuerland: Torstraße 231 / Chausseestraße 1, 10115 Berlin; GPS: 52°31′38.6″N 13°23′14.5″E
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Stammwerk Chausseestraße:
August Borsig erwarb 1836-40 vor dem
Oranienburger Tor Berlins einige weitgehend unbebaute
Grundstücke. Diese bildeten eine zusammenhängende Fläche und nahmen den
größten Teil des Areals ein, das heute von den
Straßenzügen Chausseestraße, Torstraße, Borsig
Straße und Tieckstraße eingefaßt wird. Dabei
sicherte ein keilförmiger Ausläufer des Geländes die
prominente Lage am Stadttor mit der Adresse "Chausseestraße
1" und nahm gleichzeitig dem Konkurrenten Egells den Raum zur
Expansion. Sowohl die Anlieferung von Material und Brennstoff als
auch die Auslieferung der Produkte erfolgte über den Zugang an
der Chausseestraße mittels Pferdefuhrwerken von privaten
Unternehmern. Ab 1841 erleichterte der nahegelegene Bahnhof der neuen
"Stettiner Eisenbahn" die Transportverhältnisse.
Das erste Gebäude auf dem Werksgelände war 1837 eine von August Borsig selbst
entworfene Gießhalle mit oktogonalem Grundriß und zwei
Kupolöfen sowie Anbauten für die Formerei. Die Werkstätten
für die Metallbearbeitung waren in Holzschuppen untergebracht,
als Antrieb für die Werkzeugmaschinen diente ein Göpelwerk,
das aus zweiter Hand bei Egells eingekauft worden war. Aber schon im
Folgejahr arbeitete hier eine erste Dampfmaschine aus eigener
Herstellung und neue, gemauerte Werkstätten entstanden. Bedingt
durch die wachsende Produktion und ständige Anpassungen der
Fertigungsprozesse herrschte eine rege Bautätigkeit, so daß
sich die bebaute Fläche innerhalb von 5 Jahren vervierfachte.
Kleinere Werkstätten und Lagerschuppen wurden an den
Grundstücksgrenzen errichtet, um den Zugang zum Werksgelände
und letztendlich auch die Einhaltung der Arbeitszeiten zu
kontrollieren. Zu den größeren Neubauten zählten 1838
ein Kontorgebäude mit Turm, 1840 eine Kesselschmiede und ab 1844
Montagehallen für Lokomotiven. 1845 folgten zwei Wassertürme
nach Entwürfen des Architekten Johann Heinrich Strack. Von
diesen wurde der Uhren- und Wasserturm vor der Gießhalle als
Wahrzeichen des Unternehmens aufwändig gestaltet, da er von der
Chausseestraße aus offen sichtbar war. Der Turm mit oktogonalem
Grundriß erhielt ein vorgelagertes Bassin, in das ein
gußeiserner Löwe das Kühlwasser einer Dampfmaschine
spie. Darüber stand in einem Zwillingsfenster die Figur eines
Schmiedes von Gustav Bläser. 1846 folgten schließlich eine
eigene Gasanstalt zur Beleuchtung der Firmenräume sowie 1848/49
ein Speisesaal und weitere Gebäude für soziale Zwecke.
Damit endete im Wesentlichen die Bautätigkeit unter August
Borsig im Werk an der Chausseestraße.
Nachdem
Albert Borsig das
Unternehmen 1854 geerbt hatte, konnte der Absatz von
Lokomotiven deutlich gesteigert werden, was sich in einer
Geländeerweiterung und dem Neubau verschiedener Fertigungshallen
niederschlug. 1858 wurde ein hydraulisches Hebewerk eingerichtet, das
innerhalb von 7 Minuten die 2,5 m Höhenunterschied zum
Anschlußgleis der Stettiner Bahn an der heutigen Tieck- Ecke
Borsigstraße überwand und die direkte Auslieferung der
Loks per Schiene erlaubte. Auch das Erscheinungsbild des Unternehmens
zur Chausseestraße wurde mit Bauten von Johann Heinrich Strack
aufgewertet: 1858 entstand ein neues Verwaltungsgebäude mit
hohem Turm, das 1860 durch eine Säulenhalle am Werkstor mit
aufwändiger Ornamentik ergänzt wurde. Die Inzenierung der
antikisierenden Motive sollte die Bedeutung des Unternehmens als
zivilisatorische Leistung allegorische glorifizieren. Die
repräsentativen Maßnahmen wurden 1862 mit der Aufstellung
zweier Figurengruppen am Haupteingang zum Lobe von "Maschinenbau"
und "Lokomotivbau" abgeschlossen. Damit war der
Bauzustand erreicht, der auf den meisten zeitgenössischen
Abbildungen zu sehen ist. Abgesehen vom Umbau einiger Werkstätten
1871-73 fanden keine weiteren Bautätigkeiten bis zur Stilllegung
des Werkes 1887 statt. Nach der Schließung wurde die gesamte
Bausubstanz abgetragen und das Gelände an die "Magdeburger
Bau- und Creditbank" veräußert. Das ehemalige
Borsiggelände wurde in Nord-Südrichtung durch die neu
angelegte Novalisstraße geteilt und mit Wohn- und Gewerbeimmobilien bebaut.
Ein Teil der Arkadenhalle und einige Schmuckelemente des neuen Verwaltungsgebäudes
von 1858 blieben beim Abriß des Werkes erhalten und wurden 1901
im Garten der damaligen Technischen Hochschule Berlin aufgestellt.
Das Baudenkmal gehört heute zum Campus der TU-Berlin und ist
öffentlich zugänglich. Um der fortschreitenden Verwitterung
zu begegnen, konzipierte das Büro "MTM Architektur"
2019 ein Schutzdach aus Glas und Cortenstahl, das bisher aber nicht realisiert wurde (Stand 2022).
Zugang zum Borsig Säulengang, TU-Berlin: Fasanenstraße 1 Eingang D, 10623
Berlin; GPS: 52°30′39.66″N 13°19′37.03″E
Eisenwerk Moabit:
August Borsigs Pläne für
ein eigenes Eisenwerk ließen sich aus Platzgründen
nicht am Standort Chausseestraße realisieren. So erwarb er 1842
eine größere Fläche am nördlichen Spreeufer in
Moabit, wobei er ein Areal von rund 3 Hektar für sein "Moabiter
Gut" mit einem standesgemäßen Anwesen nebst Park
vorsah. Das Gelände wurde von den heutigen Straßenzügen
Alt Moabit, Stromstraße, Bundesratsufer und Bochumer Straße
eingefaßt, spätere Zukäufe durch Albert Borsig
erweiterten die Liegenschaft südlich bis zur Lewetzowstraße
und westlich bis zur Elberfelder Straße.
Als erstes Betriebsgebäude in Moabit eröffnete August Borsig 1850 ein
Walzwerk nahe der Spree. Das dazugehörige Kesselhaus erhielt
einen markant gestalteten Schornstein mit einem aufgesetzten
Kandelaber aus Gußeisen, der zu einer vielbeachteten Landmarke
im Stadtbild wurde. Weitere Einrichtungen bestanden in einer
freitragenden Halle mit Puddel- und Schweißöfen sowie
einer Hammerschmiede, 1852 folgte der Kesselbau. Für die
Arbeiter gab es eine Badehalle, deren Schwimmbecken mit Wasser aus
der Spree befüllt und durch die Abwärme des Betriebes
beheizt wurde. Das Werk fertigte Halbzeuge wie Bleche, Stangeneisen,
geschmiedete Wellen etc. und belieferte in erster Linie die Lokomotivproduktion in der
Chausseestraße. Nachdem
Albert Borsig
wesentliche Leistungen des Eisenwerkes an das schlesische
Borsigwerk übertragen hatte, wurden aus der Lokfabrik
Chausseestraße die Kessel- und Radschmiede nach Moabit verlegt,
ab 1871 bestand ein Gleisanschluß zum Güterbahnhof Moabit an der Berliner Ringbahn.
Unter der folgenden Verwaltung des Nachlaßkuratoriums wurde 1895 am südlichen
Ende des Werksgeländes eine Dampfmühle errichtet, die als
"Borsigmühle" bekannt wurde. Die Anlage wurde an die
"Berliner Dampfmühlen-Aktiengesellschaft" verpachtet
und bereits 1898 bei einem spektakulären Brand zerstört.
1887 wurden die Reste des Lokomotivbau nach Moabit verlegt und mit
dem Bau des neuen Borsigwerkes in Tegel gingen 1898 schließlich
alle Abteilungen dorthin. Der Standort Moabit wurde geschlossen und
die Liegenschaft an die eigens gegründete
"Neu-Bellevue-Aktiengesellschaft für Grundstücksverwertung"
abgegeben. Diese trug die gesamte Bausubstanz ab, parzellierte das
Gelände zum Bau von Wohnhäusern und legte neue Straßen
an, sodaß hier ab 1905 hier das "Westfälische
Viertel" entstand. Von dem Borsig Eisenwerk in Moabit blieb
nichts erhalten und nicht mal eine Gedenktafel erinnert an die Geschichte des Geländes.
Box: Borsighalle
Als einziges Relikt des Eisenwerks Moabit blieb der Prototyp der innovativen Gitterhalle
für die Puddel- und Schweißöfen erhalten:
August Borsig
hatte ab 1847 eine freitragende Halle ohne Mittelstützen
entwickelt, die aus seriell vorgefertigten Gitterträgern
aufgebaut war. Die Trägerstruktur war aus vernieteten
Eisenelementen zusammengesetzt, das Dach mit aufgesetztem Oberlicht
bestand aus Brettern und war mit Dachpappe gedeckt. Eine solche Halle
war nach Bedarf in der Länge skalierbar und ließ sich bei
Bedarf an neue Standorte versetzen. Die Konstruktion diente als
Vorbild für gleichartige Bauwerke wie die Londoner St. Pancras
Station oder die Bahnhofshalle Berlin-Alexanderplatz. Der 1849
fertiggestellte Prototyp wurde beim Abriß des Werkes in Moabit
1899 demontiert und in Eberswalde auf dem Gelände der
Eisenspalterei am Finowkanal neu aufgebaut. Ab 1993 stand die
"Borsighalle" in Eberswalde leer und verfiel, bis sie 2014
als Urtyp aller stützenlosen Hallenkonstruktionen in die Liste
der "National wertvollen Kulturdenkmäler" eingetragen
wurde. Innerhalb von 7 Jahren wurde für rund € 2,8 Mio das
gußeiserne Tragwerk mit einem aufwändigen Korrosionsschutz
saniert und das Dach erneuert. Die Arbeiten waren im Frühjahr
2021 abgeschlossen, ein Nutzungskonzept stand noch aus (Stand 2023).
Standort: Am Alten Walzwerk 1, 16227 Eberswalde; GPS: 52°50'28.5"N 13°45'57.2"E
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Maschinenbauanstalt Moabit "Seehandlung":
Nach längeren Verhandlungen übernahm
August Borsig
1850 die Maschinenbauanstalt der "Preußischen
Seehandlungs-Sozietät" in Berlin Moabit inklusive der
Belegschaft von rund 300 Mann. Das Unternehmen wurde betriebsintern
als "Seehandlung" bezeichnet und lag in nächster
Nachbarschaft zum Borsig´schen Eisenwerk zwischen Kirch- und
Calvinstraße. Nach Süden grenzte das Grundstück an
die Spree, nach Norden an den noch unbebauten "Karnickelberg"
in Alt-Moabit. Borsig nutzte den Standort zum Bau stationärer
Maschinen und Schiffsdampfmaschinen sowie zur Fertigung von großen
Gußstücken und Hochbaukonstruktionen.
Hier wurden u.a. die Einzelteile der Kuppeln für das Berliner
Stadtschloß und die Nicolaikirche in Potsdam sowie ein
Schwimmdock für Swinemünde mit einem Gewicht von 7.100 t
gefertigt. 1896 wurde die Seehandlung geschlossen und das Gelände an die
"Magdeburger Bau- und Credit-Bank" veräußert.
Die Liegenschaft wurde durch die neu angelegte Thomasiusstraße
aufgeteilt und für die Bebauung mit Wohnhäusern
parzelliert. Die alte Bausubstanz wurde abgetragen und alle Spuren
des vormaligen Industriestandortes getilgt.
Box: Königliche Seehandlungs-Sozietät
Der preußische König Friedrich der Große gründete 1772 die
"Generaldirektion der Seehandlungs-Sozietät" die mit
eigenen Schiffen international aktiv werden und die preußische
Staatskasse füllen sollte. Als Staatsunternehmen erhielt die
Seehandlungsassozietät bald darauf auch das Recht,
Finanzgeschäfte durchzuführen und in Gewerbe zu
investieren, um so den Aufbau eines privatwirtschaftlichen
Unternehmertums in Preußen zu fördern. Das Institut war
Anfang des 19. Jahrhunderts vorrangig mit der Verwaltung der
Staatsschulden im Zuge der napoleonischen Kriege befaßt
und wurde 1820 zu einem unabhängigen Geld- und Handelsinstitut
des Staates. Man unterstützte nun die Industrialisierung
Preußens durch Investitionen in Unternehmen und Infrastruktur
wie Eisenbahnen, Straßen und Dampfschifffahrt. Einer dieser
Betriebe war die 1836 eröffnete "Maschinenbauanstalt der
Königlichen Seehandlung" in Berlin Moabit, wo mit dem
Raddampfer "Prinz Carl" das erste vollständig aus
Eisen erbaute Schiff in Deutschland vom Stapel lief. Darüber
hinaus wurden Sozialeinrichtungen wie Kranken- und Invalidenkassen
eingeführt, Gewerbeschulen gegründet und die
Grundlagenforschung gefördert. Das wirtschaftliche Engagement
der Seehandlungssozietät wurde 1845 beendet, da sie zunehmend
als Wettbewerber für die aufstrebenden privaten Unternehmen
gesehen wurde. Die einzelnen Betriebe wurden verkauft, das Institut
selbst ging in der preußischen Staatsbank auf und firmierte ab
1904 als "Königliche Seehandlung (Preußische
Staatsbank)". 1930 wurde diese vom Preußischen Landtag als
"Preußische Staatsbank (Seehandlung)" zu einer
rechtsfähigen Anstalt öffentlichen Rechts mit eigenem
Vermögen erklärt und 1947 schließlich durch den
Alliierten Kontrollrat aufgelöst. Aus dem Restvermögen
konstituierte das Land Berlin 1983 die "Stiftung Preußische
Seehandlung" zur Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur.
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